Mynerva entwickelt smarte Socke „Leia“: Neurotechnologie gegen Nervenschmerzen

Aus der Forschung an Prothesen für Amputierte entsteht an der ETH Zürich ein Spin-off mit grossem Potenzial: Mynerva will mit einer intelligenten Socke Schmerzen und Gefühlsverlust bei Neuropathie bekämpfen.

Gründerin Greta Preatoni verbindet Neurowissenschaft und Unternehmergeist – mit einem Produkt, das Millionen Menschen helfen könnte.


Zum Bild oben: Die intelligente Socke erzeugt verlorene Empfindungen an der Fusssohle künstlich: Während des Gehens erstellen unsichtbare Drucksensoren an der Fussfläche der Socke ein Abbild der Druckverteilung. Elektroden stimulieren die Nerven entsprechend.

Vom Phantomschmerz zur Volkskrankheit

Paradoxerweise beginnt die Erfolgsgeschichte von Mynerva mit Menschen, die keine Socken tragen können. Sie beginnt mit einem Mädchen, das in ihrer Freizeit Bücher über Therapiemethoden bei Amputierten verschlingt: „Seit meiner Kindheit fasziniert mich die Entstehung von Phantomschmerzen“, erzählt Mynerva-Gründerin und CEO Greta Preatoni. Sie wirkt selbstbewusst und erfolgreich, in ihren Augen schimmert die kindliche Neugier, die sie bis heute antreibt. Um die Funktionsweise des Gehirns besser zu verstehen, studierte Preatoni Psychologie und Neurowissenschaften. Nach dem Abschluss holte sie jedoch Orientierungslosigkeit ein: „Ich wollte mein eigenes Unternehmen gründen, aber hatte kein Geld, kein Team und keine Idee“, berichtet sie.

Doch Preatoni ist eine Macherin, die sich Gelegenheiten selbst erschafft. So besann sie sich auf ihr Interesse zurück und wurde an der ETH Zürich fündig. Ohne einen Hintergrund in Ingenieurswissenschaften erarbeitete sie sich eine Doktorandenstelle im Labor von Neuroingenieur Stanisa Raspopovic. Dort forschte sie an Beinprothesen, mit denen Amputierte den Boden spüren können und die zugleich Phantomschmerzen verringern. Das Potenzial dieser Neuroprothesen weckte Preatonis Geschäftssinn: Gemeinsam mit Postdoc und Mitgründer Giacomo Valle suchte sie nach einer breiteren Anwendungsmöglichkeit der Technologie. Dabei entdeckten sie, dass diabetische Neuropathie – Nervenschädigungen durch Diabetes – die gleichen Symptome von Gefühlsverlust und chronischen Schmerzen auslöst.

Rund die Hälfte der 560 Millionen Diabeteskranken weltweit entwickelt im Laufe ihrer Erkrankung Neuropathie. Dabei schädigt der erhöhte Blutzuckerspiegel die Nerven sowie die Blutgefässe, welche die Nerven versorgen. Besonders häufig ist der Wadennerv betroffen, der die Empfindungen der Fusssohle an das Gehirn weiterleitet. Erkrankte haben Schwierigkeiten beim Gehen und dadurch ein erhöhtes Sturzrisiko. Die Gefühllosigkeit führt dazu, dass sie Druckstellen und daraus resultierende Fussgeschwüre und Wunden erst spät erkennen. Im schlimmsten Fall entstehen dadurch schwere Infektionen, die in einer Amputation enden.

Alternative zu Schmerzmitteln

Das Spin-off Mynerva möchte diese Abwärtsspirale möglichst früh durchbrechen. Seine intelligente Socke „Leia“ kann die Empfindungen an der Fusssohle künstlich wiederherstellen. Unsichtbare Drucksensoren an der Fussfläche der Socke erstellen während dem Laufen ein Abbild der Druckverteilung. Ein kleiner Computer im Sockenschaft wandelt diese Informationen anschliessend in elektrische Signale um. Indem eingenähte Elektroden die Signale direkt an gesunde Teile der Nerven übermitteln, werden die geschädigten Nervenabschnitte wortwörtlich übersprungen.


Der kleine Computer im Sockenschaft wandelt die Informationen der Drucksensoren an der Fussfläche in elektrische Signale um. Dadurch werden die geschädigten Nervenabschnitte wortwörtlich übersprungen. (Bild: Michel Büchel / ETH Zürich)

Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz passt das System die Nervenstimulation auf das Individuum sowie auf äussere Bedingungen an. Dank dieser Feinabstimmung ist die Behandlung auf die spezifischen Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten personalisiert und lindert die mit der Neuropathie einhergehenden Schmerzen. Indem die Stimulation gezielt bestimmte Nervenstränge anregt, sorgt sie dafür, dass der Körper chemische Botenstoffe aussendet, die die Schmerzübertragung hemmen. Die Socke hat das Potenzial, die bisher übliche Therapie mit starken Schmerzmitteln abzulösen. „Viele Betroffene wünschen sich eine Alternative, die keine Nebenwirkungen oder Abhängigkeiten auslöst“, weiss Preatoni.


Der kleine Computer im Sockenschaft wandelt die Informationen der Drucksensoren an der Fussfläche in elektrische Signale um. Dadurch werden die geschädigten Nervenabschnitte wortwörtlich übersprungen.

Geschichte in drei Plastikboxen

An dieser Alternative tüftelt die Italienerin und ihr Team nun seit fünf Jahren. Die Geschichte von Mynerva passt in drei Plastikboxen – unscheinbar im Büroregal stehend. Sie enthalten sämtliche Prototypen vom vollständig verkabelten, steifen Überschuh über Versionen mit Klett-, Reissverschluss oder Schnürung bis hin zum aktuellen schlanken Design, das sich kaum von einer üblichen Socke unterscheidet. Das mittlerweile zehnköpfige Team scheute keinen Aufwand, das System so simpel wie möglich zu gestalten. Bedient wird die Socke bequem über eine App auf dem Smartphone.

Ganz unten in einer Kiste liegt auch Leia, die Namensgeberin der smarten Socke. Der frühe Prototyp erinnert mit seinen zwei eingenähten Kissen an die Frisur der StarWars-Prinzessin. „Ein Fun Fact, der unser Team zusammenhält“, erzählt Preatoni und lacht. Energiegeladen und ein bisschen verrückt gehe es bei ihnen zu und her, sagt die Unternehmerin. Sie liebt ihr Team und lebt für das Startup. Ihr Engagement zahlt sich aus: 2023 erhielt sie nicht nur die ETH-Medaille für ihre Doktorarbeit, sie schaffte es auch auf die Forbes-Liste der 30 herausragendsten Persönlichkeiten unter 30 Jahren im Bereich Science and Healthcare.

 

Quelle: ETH Zürich
Bildquelle: Michel Büchel

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